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 Schule

SCHULE FÜR HOCHBEGABTE

Kleine Köpfe, großes Chaos (2)

Zurück zum 1. Teil

Die Brecht-Schule, 450 Schüler, 53 Lehrer, ist eine GmbH, getragen vom Kollegium, und ein Sammelbecken für gestrandete Kinder. 215 Euro im Monat (plus 31 Euro für die freiwillige Hausaufgabenbetreuung) zahlen die Eltern dieser Kinder, die anderswo nichts lernen wollten oder konnten, Kinder aus der Bahnhofsszene, vorbestrafte Kinder, Kinder, die auch mit zwölf nicht lesen und nicht schreiben können.

Modellversuch zur Begabtenförderung (in Hannover): ''Man kann das eigene Kind nicht abstürzen sehen''
AP
GroßbildansichtModellversuch zur Begabtenförderung (in Hannover): "Man kann das eigene Kind nicht abstürzen sehen"
Dass auch Hochbegabte Sorgenkinder sein können, ist zumindest in den alten Bundesländern ein neuer Gedanke. Im Osten, wo Eliteausbildung, im Sport etwa, selbst zu Honeckers Zeiten gewünscht war, gibt es eine Menge Förderprogramme wie jenes des Gymnasiums St. Afra in Meißen. Im Westen gibt es Schulen in Geseke (Nordrhein-Westfalen) und Braunschweig, aber ansonsten nicht viel. Bis Mitte der Neunziger war das Thema seltsam belastet, fast so, als wollten die Pädagogen sich vor dem Verdacht schützen, ein zweites Mal bei der Zucht von Übermenschen mitzuwirken.

"Aber es geht um Kinder, die Hilfe brauchen", sagt Klaus Nemitz. Hochbegabte sind ja keine Hochleister, zumindest viele Jahre lang nicht; sie haben nur mehr Talent und mehr Interessen als andere, aber auch ein Chaos im Kopf, und deshalb sind sie leicht zu erschüttern. Nicht alle von ihnen sind exzellente Schüler: Sie haben ein fotografisches Gedächtnis und entwickeln mathematische Formeln, doch sie vergessen, ihre Vokabeln zu lernen.

Aber hier, in zwei fünfstöckigen Altbauten mit engen Gängen, treffen sie auf Lehrer, die Angestelltenverträge haben und sich deshalb als Trainer verstehen, "Begeisterte, die Wärme ausstrahlen sollen", wie Nemitz sagt.

Die kleinen Kniffe der Pädagogen

Arne Blohm-Sievers, der Klassenlehrer der 5b, ein Mann mit hochgekrempeltem Strickpulli, Brille und Dreitagebart, ist jedenfalls einer, der sich verliebt hat in das neue Projekt. Man müsse, sagt Blohm-Sievers, die Hochbegabten-Förderung mit einem Projektunterricht beginnen, einer Entdeckungsreise, damit sich eine Gemeinschaft bilde.

Als damals, im Sommer 2001, der stille Max Bauer das Thema hörte, "Fledermäuse", sagte er, was er immer sagt: "Keine Lust." Dann zeigte Blohm-Sievers betont beiläufig auf ein Buch, das auf dem Schreibtisch herumlag und sagte: "Das ist das schwierigste Buch, das es gibt." Klar: Das reizte den kleinen Max. Und am Ende stand er im Wildpark Schwarze Berge, es regnete, aber er hielt sehr erwachsen und sehr wichtig seinen Vortrag über Fledermäuse, und damit war er angekommen in der neuen Klasse. "Man muss diesen Kindern ein Ziel geben und eine Methode, und dann muss man sagen: Seht mal zu, wie ihr dieses Ziel erreicht", sagt Blohm-Sievers.

In Deutsch lesen sie zum Beispiel die "Vorstadtkrokodile" von Max von der Grün. Alles, was mit Büffeln, mit Regeln, also mit Langeweile zu tun hat, lehnen Hochbegabte ab, und darum sagt Blohm-Sievers: "Legt einen Ordner an, mit acht Kapiteln. Ihr könnt Personen beschreiben, Geräusche aufnehmen, einen alternativen Schluss entwickeln. Macht etwas draus." Und natürlich macht Max Bauer etwas, was nicht vorgeschlagen wurde: Er zeichnet einen Bauplan zur Restaurierung der in den "Vorstadtkrokodilen" zerstörten Waldhütte. Einer wie er kann nur etwas Eigenes machen. Aber das kann er.

Hochbegabte Mädchen sind braver, passen sich an

Natürlich haben Jungen wie Max das Glück, dass sie irgendwann aufgefallen sind. Jungen trotzen, Jungen prügeln, Jungen werden zum Psychologen geschickt.

Die Mädchen sind eher brav. Sie passen sich an, sie funktionieren. Vor allem daran liegt es, dass mehr als 75 Prozent der entdeckten Hochbegabten Jungen sind.

Amelie H., 9, Intelligenzquotient deutlich über 130, ein blondes Mädchen aus Ahrensburg, das sich jeden Morgen kunterbunt anzieht, lernte in sechs Wochen Lesen und Schreiben, und dann las sie nachts ihre Sachbücher und ihre Krimis. Sie kam leicht durchs Leben, bis das alles zu leicht wurde und Amelie die Hausaufgaben einstellte. Und bis die anderen spotteten und sie ausschlossen. Amelie wurde krank, lief aus der Schule weg und fragte: "Was soll ich auf dieser Welt?"

Ihre Eltern, er freier Finanzdienstleiter, sie gelernte Hotelfachfrau, waren ratlos wie alle Eltern von Hochbegabten. "Ich habe mich durch das Abitur gequält, ich fand es erschreckend, wie schnell meine Tochter begreift", sagt der Vater.

"Was glaubst du, was du gut kannst?"

Sie ließen Amelie die dritte Klasse überspringen, aber Freunde fand sie dadurch nicht. Amelie litt auch in der vierten Klasse; die Eltern wollten schon eine eigene Schule gründen, als sie von der Brecht-Schule hörten.

"Natürlich müssen Kinder wie Amelie ihre Kindheit haben, aber sie brauchen Futter", sagt der Vater.

Es ist Mittag in der Brecht-Schule, die fünfte Stunde, Soziales Lernen. Die Hochbegabten und die Normalen sitzen zu zweit an den Tischen. Sie sollen malen, zu zweit mit einem Stift, und dabei sollen sie kapieren, dass sie erstens mehr Spaß haben zu zweit und dass zweitens die Zusammenarbeit dann besser hinhaut, wenn ein Kind führt und das andere vertraut.

Amelie, die Klassensprecherin, und ihre Partnerin malen ein Bild nach dem anderen; Max kichert vor sich hin und dreht allem den Rücken zu. "Aber er hört", sagt Arne Blohm-Sievers, der Lehrer.

Dann sollen die Kinder Fragebögen ausfüllen. "Was glaubst du, was du gut kannst?", steht da und: "Was glaubst du, was andere an dir schätzen?" Die Hochbegabten trauen sich, nach neun Monaten in der Brecht-Schule, und schreiben ihre Blätter schnell voll; es gibt andere Sorgenkinder hier, Kinder, die alles frei lassen oder zweimal "gar nichts" hinschreiben.

Traurige, einsame Kinder.

Es gibt aber auch Momente, da ist das anders. Neulich war Wandertag, und die 5a und die 5b gingen zusammen Schlittschuh laufen. Weil die meisten der kleinen Genies diverse Klassen übersprungen haben und jünger sind als die anderen, weil sie ihre Körper ohnehin als eher lästig empfinden und mit Sport nicht viel anfangen können, stolperten sie übers Eis. Da nahmen immer zwei Normale ein hochbegabtes Kind in die Mitte und zeigten, wie man sich bewegt auf dem Eis.

Und darauf sind sie in der 5a heute noch stolz.